Traum oder Albtraum?
»Während Luisa durch das Zittauer Gebirge wandert, wird sie von einem grellen Licht geblendet. Kaum, dass sie sich vom ersten Schreck erholt hat, glaubt sie ihren Augen nicht trauen zu dürfen. Die auf dem Oybin liegende Burgruine erstrahlt im Licht der Sonne. Die wehrhaften Mauern und das alte Kloster scheinen sich im besten Zustand zu befinden. Unvermittelt findet sie sich im vierzehnten Jahrhundert wieder und stolpert in das Abenteuer ihres Lebens.«
Die Klosteruine auf dem Berg Oybin. Die im Zittauer Gebirge liegende Burganlage ist für Besucher zugänglich.
So ähnlich könnte man sich den Klappentext eines Buches vorstellen, welches die Leser auf eine Zeitreise mitnehmen möchte. Doch was in der Inhaltsübersicht noch recht spannend klingt, ist niemandem zu wünschen.
Der historischen Sprache nicht mächtig und auch sonst gänzlich unvorbereitet würde es sich bei dieser ungewollten Zeitreise vermutlich nicht bloß um das größte, sondern sogar um Luisas letztes Abenteuer handeln. Um sich nicht sofort in eine ausweglose Lage zu bringen, wäre ihr nur zu empfehlen sich möglichst unauffällig verhalten.
Doch die Sorge, dass sie sich der Ketzerei verdächtig machen könnte, scheint auf den zweiten Blick unbegründet zu sein.
Es ist Albert Einsteins Relativitätstheorie, die besagt, dass Zeitreisen zwar möglich sind, diese jedoch nur in die Zukunft führen können. Da wir aber wissen, dass man in der Wissenschaft niemals »Nie« sagen sollte, gilt dies natürlich auch für die Reisen durch die Zeit. Vielleicht werden uns diese allen Vorhersagen zum Trotz eines Tages doch in das antiken Alexandria führen.
Von Zeitlinien und Wurmlöchern
Physik ist eine abstrakte Wissenschaft und dies trifft auch auf die Zeit zu und wie man sich deren Aufbau vorstellen kann. Um nicht zu weit abzuschweifen, soll an dieser Stelle auf lediglich zwei Modelle näher eingegangen werden.
Am einfachsten nachvollziehbar ist der Gedanke, dass wir uns auf einer Zeitlinie, einem Strang befinden. Auf diesem könnten die Zeitreisenden vor- oder zurückspringen, ganz wie es ihnen beliebt.
Allerdings stellt sich dann die Frage, wieso wir noch nie einem Besucher aus der Zukunft begegnet sind. Doch es gibt eine ganze Reihe vorstellbarer Gründe, warum uns bisher noch kein Zeitreisender über den Weg gelaufen ist.
Es wäre durchaus denkbar, dass wir zwar schon Besuch erhalten haben, diesen aber gar nicht bemerken konnten. Die Wissenschaftler forschen bereits heute an Kleidung, die mittels Lichtkrümmung den Träger unsichtbar werden lässt.
Allerdings kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass wir an der Spitze des Zeitstrangs stehen und daher gar keinen Besuch aus der Zukunft erhalten können.
Doch vielleicht verzichten unsere Nachfahren auch ganz freiwillig darauf durch die Zeit zu reisen. Wie wir später sehen werden, gibt es dafür gute Gründe.
Es könnte aber auch sein, dass es den Menschen für immer verwehrt bleiben wird in die Vergangenheit zu reisen. Da wir jedoch stets daran glauben ein Problem lösen zu können, wollen wir dieser Hypothese nicht weiter folgen.
Für eine Reise in eine andere Zeit haben die Autoren dieser Welt ganz unterschiedliche Antworten gefunden. Diese reichen von Zeitmaschinen und Anomalien bis zu sich zufällig öffnenden Zeitspalten.
In dem Roman »Das Geheimnis der Prophezeiung« wird auf eine andere Lösung zurückgegriffen und die Zeit gebeugt. Damit zugleich der Zielort gewechselt werden kann und dieser nicht unbedingt dem Ausgangspunkt der Reise entspricht, wird obendrein auch noch der Raum gekrümmt.
So ähnlich durfte man sich in Frank Herberts »Der Wüstenplanet«, die Reisen der Raumfahrergilde vorstellen, nur das sich diese ihrer Vorstellungskraft bediente. Dafür benötigte sie wiederum das Gewürz »Melange«, welches in der deutschen Fassung »Spice« genannt wird.
Raum-Zeit-Krümmungen sind seit Albert Einstein bekannt, der sie durch die Verteilung jeglicher Masse und Energie innerhalb unseres Universums erklärte.
Ein weiterer Denkansatz zum Aufbau der Zeit ist die Idee von Paralleluniversen. Die Vorstellung von »Mehrwelten« ist nicht neu. Schon in der griechischen Antike ist diese Theorie diskutiert worden. Heute beschäftigt sich vor allem die Quantenphysik mit diesem Phänomen.
In einem Viele-Welten-Modell könnte es durchaus Universen geben, die sich in einer anderen Zeitebene befinden. Diese Parallelwelten wären durch Wurmlöcher miteinander verbunden, die auch Einstein-Rosen-Brücke genannt werden.
Wurmlöcher könnten in Paralleluniversen führen und Zeitreisen ermöglichen.
Doch leider würden derartige Verbindungswege nur eine so kurze Zeit bestehen, dass man sie kaum als Reiseportal nutzen könnte.
Ob uns jedoch jemals so viel Energie und Masse zur Verfügung stehen wird, um eine Einstein-Rosen-Brücke für eine Reise lang genug zu stabilisieren, vermag bis heute niemand positiv zu beantworten.
Das Leben – Freier Wille oder vorbestimmtes Schicksal?
Ob eine Zeitreise in ein Paralleluniversum führt oder einem Strang folgt, wäre nicht das Gleiche.
Reist man auf einer Zeitlinie in die Vergangenheit, gelangt man in eine Epoche, die mit der eigenen Gegenwart verknüpft ist.
Auf diesem Modell beruhen die Abenteuer von Nora und Birk. Sie finden im Jahr 83 v. Chr. dann auch genau jene Rahmenbedingungen vor, die uns durch zahlreiche Zeugnisse und Überlieferungen bekannt sind.
Ein Zeitreisender, der auf einer solchen Reise in den Verlauf der Geschichte eingreift, würde ein Zeitparadoxon auslösen.
Dass dadurch ein unlösbarer Widerspruch entsteht, ist an dem Beispiel des Großvater-Paradoxons erkennbar. In diesem reist ein Mann in die Vergangenheit und bringt dort seinen Opa in dessen Kindheit um. Die Schlussfolgerung wäre, dass sich der Mörder mangels seiner Geburt erst gar nicht auf Reisen begeben kann.
Die Sachlage scheint also völlig verworren, doch die Wissenschaft weiß neuerdings Rat.
Germain Tobar und Fabio Costa haben entsprechende Berechnungen angestellt und kamen zu dem Ergebnis, dass ein Zeitparadoxon nicht zwangsläufig auftreten muss. Sie griffen dabei auf die in der Quantenphysik bedeutsame Wahrscheinlichkeit zurück, die auf Teilchen einwirkt. Demnach würde sich der Verlauf der Geschichte nach einem Eingriff immer wieder neu anpassen und ausrichten. Die Folge wäre eine reparierte Zeitlinie. Doch auch wenn diese Theorie auf einer mathematischen Formel fußt, bedarf es natürlich noch einer Zeitreise, um sie auf ihre Richtigkeit zu überprüfen.
Im Unterschied zu einer Reise auf einem Strang würde bei einem Besuch in einer Parallelwelt kein Paradoxon drohen. Die Reisenden könnten dann zwar Einfluss auf die spätere Zeit des besuchten Universums nehmen, nicht aber auf die Gegenwart, aus der sie ursprünglich kommen.
Warum sich aber außerhalb der Erde die Geschichte der Menschheit haarklein wiederholen sollte, ist eine durchaus berechtigte Frage. Dafür würde es nur eine Erklärung geben: Unser Leben müsste sich in einer Zeitschleife abspielen die alle Universen umfasst. Diese Erkenntnis würde aber das Selbstverständnis des Menschen schwer erschüttern.
Wieso etwa sollte auf keiner der zahlreichen Welten Hannibal nicht doch den Entschluss fassen, Rom zu belagern, statt plündernd durch Italien zu ziehen? Und warum muss sich Paul Müller immer wieder in Lisa Lehmann und nicht auch einmal in Hertha Schulze verlieben?
Die historischen Ereignisse würden sich schließlich nur dann gleichen, wenn alle Abläufe unverändert bleiben. Das gilt für große Schlachten, aber auch für den Bauern, der tagein tagaus seine Felder bestellt.
Schon die geringste Abweichung der Geschehnisse würde dazu führen, dass die darauffolgenden Ereignisse nicht mehr den Überlieferungen entsprechen.
Ein absolut gleicher Verlauf der historischen Vorgänge wäre für andere Welten nur denkbar, wenn das Schicksal des Menschen bis in die kleinste Einzelheit vorbestimmt ist. Dass wir davon überzeugt sind, eigene Entscheidungen zu treffen, wäre dann aber nur eine Illusion.
Cumae - In dieser Grotte soll die Sibylle von Cumae gelebt haben. Sagte sie nur das vorbestimmte Schicksal voraus?
In diesem Fall müsste darüber nachgedacht werden, inwieweit der Einzelne für seine Taten überhaupt verantwortlich ist. Diese Frage würde sich aber nicht nur bei dem frechen Schuljungen stellen der beim Diktat abgeschrieben hat, sondern auch bei dem Betrüger oder dem Dieb.
Mit dem Hinweis das es am freien Willen mangelt und man nur dem ihm vorbestimmten Weg folgt, ließe sich dann jedes Fehlverhalten rechtfertigen.
Das ist eine kaum vorstellbare Theorie, denn sie würde bedeuten, dass ein Mörder letztendlich für seine Tat nicht verantwortlich gemacht werden kann. Vielmehr wäre er sogar ein Opfer der Umstände.
Doch dafür müsste sich das Schicksal eines jedes Menschen stetig wiederholen.
Dass unser Leben einem Film gleicht, der in einer Dauerschlaufe gesendet wird und überall empfangbar ist, dürfte aber nicht sehr wahrscheinlich sein.
Der Besuch einer Parallelwelt scheidet somit als Möglichkeit in die uns bekannte Geschichte zu reisen, aus.
Zeitparadoxa – Gefahr für die Gegenwart?
Die Furcht, bei der Reise auf einem Zeitstrang, die eigene Gegenwart zu verändern, wäre sehr wohl begründet.
Käme etwa durch eine Zeitreise ein Mensch vorzeitig zu Tode, hätte dies zur Folge, dass seine Kinder und deren Kindeskinder nie geboren werden. Der Nachbar wäre dann womöglich spurlos verschwunden und niemand wüsste warum.
Unabhängig davon, dass der Mitbewohner uns vielleicht immer nur genervt hat, es kann noch viel heftiger kommen. Auch wenn die Gründe verständlich sein mögen, die Auswirkungen, die ein Tyrannenmord nach sich ziehen würde, wären kaum vorstellbar.
So edel die Motive auch sein mögen die Frage, ob es vertretbar wäre, in den Verlauf der Geschichte einzugreifen ist berechtigt. Bei welchen Katastrophen etwa sollen und dürfen Zeitreisende aktiv werden? Wo verläuft die Grenze, hinter der wir Ereignisse nicht mehr korrigieren, die im Laufe der Geschichte aber für unendlich viel Elend gesorgt haben?
Sollen wir bei der Eroberung des Inka-Reiches eingreifen, und gilt dies auch für Personen die zu Unrecht verfolgt werden?
Wer würde es wagen, eine Entscheidung darüber zu treffen, wem geholfen werden und wen man seinem Schicksal überlassen soll?
Dürfen Zeitreisende in schon längst zurückliegenden Ereignisse eingreifen?
Noch schlimmer wären aber jene Menschen von Zeitreisen betroffen, die in der Vergangenheit leben. Reisende, die aus unserer Zeit kommend das antike Athen besuchen, befänden sich den alten Griechen gegenüber klar im Vorteil. Sie würden über Mittel verfügen, mit deren Hilfe sie jedes ihre Anliegen durchsetzen könnten. Jene Menschen aber, denen diese Epoche eigentlich gehört, hätten keine Chance, sich gegen die Besucher aus der Zukunft zur Wehr zu setzen.
Zeitreisen sind also nicht nur für den reiselustigen Abenteurer riskant. Die größte Gefahr droht vielmehr den Menschen, die schon lange vor uns lebten und die Grundlagen unserer heutigen Kultur schufen.
Doch eine Erfahrung haben wir bisher immer wieder gemacht: Ist der Mensch erst einmal in der Lage, etwas in die Tat umzusetzen, so lässt er sich davon durch nichts aufhalten. Daher steht zu befürchten, dass wenn erst einmal eine Technologie erforscht wurde, die Zeitreisen ermöglicht, die Liste der Interessenten unheimlich lang wäre.
Doch wem könnte man dann vertrauen? Wer kennt die Motive der Bewerber? Wer verhindert den Missbrauch von Zeitreisen und wer stellt nach welchen vergänglichen Kriterien die Regeln auf, die für die Reisenden gelten sollen?
Vielleicht ist es deshalb gar nicht so schlecht, dass es bisher allein den Autoren dieser Welt vorbehalten ist, mittels ihrer Fantasie die neugierige Leserschaft durch die Zeit reisen zu lassen.
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